Verkostungsprotokoll 26.5.95:
100 Punkte?
Parker am Teststand
Weinbewertungen in Punkten sind immer etwas fragwürdig, da sie subjektiven
Beurteilungen einen quasi objektiven Schein geben. 100 Punkte im Parker'schen
Schema stehen allerdings für den perfekten Wein - das ist einerseits ein stolzer
Anspruch, andererseits stellt sich die Frage, wie sich unterschiedliche
100-Punkte Weine im Vergleich darstellen. Da die volle Aufnahmefähigkeit auf
eher einige wenige Weine beschränkt scheint, haben wir uns mit vier Flaschen
begnügt, denen wir zwei kleinere Kaliber zum Einstieg vorangestellt haben.
Armand Pommard Epenaux 90:
-
Dunkles Rubin, gerade noch durchsichtig, dicke Schlieren. Fruchtiges Bouquet,
fruchtiger Geschmack. Mittlerer Körper, feine Säure. Atypischer Burgunder.
90+ Punkte (Parker: 94)
Vega Sicilia 74:
-
Rubin mit Braunton, ausreichend Glycerin. Bouquet nach Lakritze, leichter
Alterston. Schöner Körper. Rund, sanft, angenehm. Weicher, doch nachhaltiger
Abgang. 90 Punkte (Parker: 90+?)
Beaucastel Cuvée Jaques Perrin 90:
-
Dunkles klares Rubin, mittleres Glycerin. Leichtes Gemüse im Bouquet, etwas Süße.
Verdeckte Frucht. Massiver Körper, pelziger Geschmack. Nachgeschmack extrem
lang anhaltend. Leichter zugänglich als der Chateauneuf du Pape. 97 Punkte (Parker: 100)
Chateaux Montrose 90:
-
Dunkles Rubin, massives Glycerin. Süße Frucht im Bouquet, Lakritze.
Massiver Körper. Sehr langer Abgang. Hält sich erstaunlich gut im Vergleich.
97 Punkte (Parker: 100)
Guigal La Ladonne 90:
-
Schwarzrot, massives Glycerin. Bouquet im ersten Moment stark alkoholisch,
dann fein ausgewogen. Sehr rund im Geschmack, samtig, sehr ausgewogene Struktur.
Extrem langer Nachgeschmack. Solitär. Der ultimative Wein. 100 Punkte (Parker: 100)
Jaboulet La Chapelle 90:
-
Schwarzes Rubin, schweres Glycerin. Alkoholisches Schwarzkirschenbouquet.
Massiv fruchtiger Lakritzekörper. Langer Nachgeschmack. Für einen jungen
Hermitage erstaunlich zugänglich. 99 Punkte (Parker: 100)
Essen:
-
Zur Vorspeise frischer Ziegenkäse im Blätterteig überbacken, mit Basilikum,
Paradeisern und Oliven. Fein im Geschmack und gut passend zum Sicilia.
Als Hauptgericht knackiges Kaninchen im excellenten Sud mit Zucchinistreifen und
feinem Olivenpürree.
Als Nachspeise zuerst Erdbeeren (über Nacht in einem feinen Sauternes eingelegt) mit Vanilleeis
und dann Brilliat Savarin, Frischkäse mit sehr feiner Säure.
Fazit:
Nachhaltiger Eindruck der Verkostung war der extremer Geschmacksfülle und Schwere
der Weine - man muß sie also nicht jeden Tag haben.
Aufgrund sehr gut ausgewogener Struktur sind diese Weine bereits
jung sehr zugänglich. Im Verlaufe des Reifeprozesses kommt sicherlich noch
ein hohes Maß an Finesse zusätzlich zum Tragen. Bis dahin dürften die Weine
allerdings noch lange Zeit haben. Daß drei Rhoneweine und ein Bordeaux vertreten
waren, ist durchaus symptomatisch: Andere Regionen bringen selten Weine dieses
Kalibers hervor. Der Unterschied zu Weinen der Kategorie unter
95 Punkten war klar erkennbar. Ob ein Wein 97 oder 100 Punkte bekommt, ist durchaus
auf subjektive Kriterien bezüglich Bouquet und Geschmack zurückzuführen.
Eines scheint klar: Ein Wein, den Parker mit mehr als 95 Punkten bewertet, ist
schon einige Anstrengungen wert, um ihn wenigstens verkosten zu können.
Ein paar Flaschen davon im eigenen Keller zu haben, ist ein gutes Gefühl.
Teilnehmer: Kurt Ertlbauer, Wilfried Knapp, Burkhard Maier, Rudolf Nowak, Karl Weilguny.