Verkostungsprotokoll 14.7.95:
Blindverkostung Toskana 85: Ein Fiasko

1985 war in der Toskana ein sehr gutes Jahr. Vor etwa zwei Jahren hat das Institut einige Vini da Tavola verkostet. Der Region entsprechend überwiegend von der Sangiovesetraube mit einigen wenigen Cabernet Sauvignon Weinen. Diese Verkostung ist uns nachhaltig als sehr hedonistisches Erlebnis in Erinnerung. Das galt es zu überprüfen. Um der Beeinflussung durch Etiketten zu entgehen, sollte es diesmal eine Blindverkostung sein. Als Referenzwein wurde außerdem ein Chateauneuf du Pape 1990 Cuvée Centenaire von Cailloux dazugenommen, der sich unter den Rhoneweinen durch besondere Feinheit auszeichnet (um diesen Wein nicht gleich an der Flaschenform zu erkennen, wurde er in eine Bordeauxflasche umgefüllt).
Als spezielle Verkostungsziele haben wir uns vorgenommen:
Das Ergebnis (die Reihenfolge der Weine wurde durch Zufallsauswahl bestimmt) war das folgende:

Cailloux Cuvée Centenaire:

Dunkles Granat, mittleres Glycerin. Dunkelbeeriges Bouquet, fruchtig. Runder Geschmack, kaum Säure, viel Tannin. Tannin im Nachgeschmack. 88 Punkte
Anmerkung: Dieser Wein wurde mit großer Übereinstimmung als cabernettypisch erkannt

Monte Vertine Il Sodaccio:

Klares Rubin, massives Glycerin. Sehr feines Gemüsebouquet. Ausgewogene Säure/Tannin-Kombination. Langer Abgang mit leichtem Säureton. 92 Punkte
Anmerkung: Dieser Wein wurde einhellig als Rhonewein erkannt

Riecine La Gioia:

Dunkles Rubin, massives Glycerin. Strenges Bouquet, leichtes Zibet, darunter dunkle Frucht. Etwas säurebetont, auch im Abgang. 91 Punkte

Castellare I Sodi di Dan Niccolo:

Dunkles klares Granat, mittleres Glycerin. Typisches Sangiovesebouquet mit leichtem Gemüse, im Geschmack etwa säurebetont, im Nachgeschmack Kirsche und leichter Bitterton. 90 Punkte

Antinori Solaia:

Klares Rubin, extremes Glycerin. Schöne Frucht, leichte Geilheit im Bouquet. schön ausgewogene Frucht. Extrem langer Nachgeschmack. Heißer Wein. 94 Punkte
Anmerkung: Dieser Wein wurde mit großer Übereinstimmung als sangiovesetypisch erkannt.

Coltibuono Sangioveto:

Granat mit leichtem Ziegelton. Ausreichend Glycerin. Feines aber "fettes" Bouquet. Schöne ausgewogene Frucht, mittlerer Abgang. 85 Punkte

Antinori Tignanello:

Helles Granat, viel Glycerin. Anfangs sehr feines Bouquet, das nach einiger Zeit ins Bittere geht. Im Geschmac massives Holz, bitter Tannin. 81 Punkte
Anmerkung: Der Tignanello ist zwar kein charaktervoller, aber ein zuverlässig guter Wein. An diesem Abend allerdings die Enttäuschung

Case Basse Intistieti:

Mittleres Granat, viel Glycerin. Flüchtiges Bouquet, Pelzig säuerlicher Geschmack. 88 Punkte
Anmerkung: Vom erwarteten Sangiovese-"Kraftlackel" keine Spur

Isole e Olena Ceparello:

Kirschiges Granat, viel Glycerin. Feines Kirschenbouquet, schnapsiger Nachgeschmack. 87 Punkte

Nippozano Montesodi:

Schönes dunkles Granat, sehr viel Glycerin. Feines Bouquet, ausgewogener Geschmack, sehr langer Nachgeschmack. 91 Punkte

Felsina Fontalloro:

Klares Granat, schöne Schlieren. Gemüsiges Bouquet, gemüsiger Geschmack, guter Abgang. Säure und Tannin gut ausbalanciert. 88 Punkte

Essen:

Vorspeise: Mit Zitronensaft marinierte Steinpilze mit Artischocken
Zwischengang: Bandnudeln mit Butter und Salbei
Hauptgericht: Leber Cyprio
Nachspeise: Panna cotta

Fazit:

Wie schon in der Überschrift angeführt: Das Ergebnis der Verkostung war ein Fiasko: Kein einziges der an sich bescheidenen Verkostungsziele wurde erreicht. Das Entsetzen bei der "Demaskierung" der Weine war groß. Die Gründe für das Versagen dürften jedoch objektiver Natur sein: Sowohl der ausgewählte Rhonewein als auch die beiden "Türken" Solaia und Il Sodaccio waren in ihrer Charakteristik auf diese Täuschung hin ausgelegt. Farbe und Körper waren generell erstaunlich - von Altersschwäche keine Spur. Bemerkenswert war noch, daß sich das Hedonismuserlebnis nicht wiederholen ließ, was möglicherweise an der allzugroßen Schwüle dieses Abends gelegen sein mag.
Teilnehmer: Kurt Ertlbauer, Wilfried Knapp, Veit Ludwig, Burkhard Maier, Rudolf Novak, Manfred Srna